In Barcelona hatte ich beim Frühstück so einen Aha-Moment. Eigentlich war an dem Morgen nichts ungewöhnlich. Wir haben uns das Menü 2 (Kaffee, Croissant und frisch gepresster Orangensaft) bestellt, einen Schokoladenpudding zum tunken dazu. Das Essen kam zum Tisch und wir packten beide unser Smartphone aus, um schnell ein Foto für die Instagram Story zu machen. Da fiel mir eines auf: wir leben, um zu dokumentieren. Wir erleben den Moment nicht als solchen, sondern sind Außenstehende unseres eigenen Lebens, schauen nur zu, lassen einfach alles vorbeiziehen und machen nur für andere sichtbar, was uns gerade passiert – nicht, was wir erleben.
Das Leben und Social Media
Nach dieser Erkenntnis habe ich mal geschluckt. Das war kein leichter Gedanke. Denn was wartet dort draußen in der Welt auf mich, wenn ich beginne, wieder zu erleben, richtig zu fühlen und schmecken. Das Leben als solches zu betrachten und nicht als ein Konstrukt einer Idee, die ich umsetzen möchte und von anderen gesteuert wird. Genau dieses Gefühl beschleicht mich nämlich manchmal: mein Leben wird nicht von mir selbst gelenkt, sondern durch Trends und Social Media Plattformen so stark beeinflusst, dass man darunter zerbrechen könnte. Das Leben selbst zerbricht darunter. Und wir stehen daneben und werden es mit unseren Followern teilen, weil wir nichts anderes mehr kennen und können.
Es ist ein trauriger Gedanke, dass wir als Menschheit verlernt haben, wie das Leben eigentlich funktioniert. Können wir je wieder etwas Essen, ohne es zu teilen? Einfach nur Einkaufen gehen, ohne danach einen Haul zu machen? Oder auch nur ins Kino gehen, den Film ERLEBEN, ohne es jemanden mitzuteilen? Ich nehme mich da selbst nicht aus, ich bin genauso ein Verwalter und Verbreiter meiner Dokumentationen. Klar erfülle ich als Bloggerin hier auch bis zu einem gewissen Grad meine Pflicht, aber um ehrlich zu sein, muss der tausendste Boomerang mit gehenden Füßen nicht sein. Genauso wenig wie ein „Ich kann nicht schlafen“-Snap.
Das Leben und der Beruf
Das alles war Teil meiner Frühstücks-Unterhaltung in Barcelona. Wir leben zu wenig. Wir ERleben zu wenig. Nicht im Sinne von Events, außergewöhnlichen Orten und Reisen, sondern im Sinne von Wahrnehmung und Verarbeitung. Selten habe ich mich so erfüllt und lebendig gefühlt wie am Strand von Barcelona ohne Internet. Bewaffnet nur mit einem Buch und meinen Gedanken, die sich um mein Leben drehen. Ich hatte nichts, was mich von dem gerade Erlebten abgelenkt hat. Das war so angenehm! Ich war glücklich und entspannt – wie ein Kind.
Und dann sind wir noch auf etwas drauf gekommen: Ein Beruf kann noch so erfüllend sein, wenn wir keinen Sinn hinter dem sehen, was wir tun. Das hat sich aber nicht auf unseren Brotberuf bezogen, sondern auf die Dinge allgemein. Der Blog ist Arbeit, Fotografie ist Arbeit, Poledance ist Arbeit, meine Arbeit ist Arbeit. Auch Hobbies sind Arbeit. Dabei sollte man gerade diese Arbeit damit verbringen, das Leben zu erleben und nicht zu dokumentieren.
Das Leben und die Liebe
Der Punkt, an dem ich verstanden habe, worum es eigentlich geht, war bei diesem Frühstück in Barcelona. Keine Ahnung, was die in ihre Churros-Schokosauce geben, aber da ist fix was drinnen. Dieses Gespräch hat mir in so vielen Dingen die Augen geöffnet. Das letzte Mal, dass ich dieses Gefühl des Erlebens hatte, war ich verliebt in den Elias. Die ersten 3 Monate. Dann bin ich irgendwie ein bisschen abgestumpft. Meine Gefühle wurden sozusagen als ganzes entsättigt, weil ich ständig 24/7 mit neuen Eindrücken und Herausforderungen konfrontiert bin. Meinen emotionalen Einbruch das letzte halbe Jahr hat wohl fast niemand mitbekommen. Wie soll ich auch erklären, dass ich das Gefühl habe, emotional abgestumpft zu sein, mein Leben nur entsättigt wahrnehme und irgendwie alles ein wenig egal ist.
Das Leben und der Code
Barcelona hat mir gelernt, dass das Leben voller Erlebnisse steckt. Die Wahrnehmung ist viel intensiver, wenn man sich darauf einlässt und die Dokumentation einfach mal nicht macht. In Wahrheit interessiert es wahrscheinlich die wenigsten, wenn du ein Avocadobrot isst, ein neues Buch liest oder in den Flieger einsteigst und über Verspätung jammerst. Wir sind uns oft einfach viel zu sehr im Weg, um das Leben zu genießen und nicht vollends abzustumpfen. Es gibt gute Gründe, warum man sich vor dieser Intensität schützt, aber bei mir war es Social Media. Kein Todesfall, keine Krankheit und keine dramatische Wende in meinem Leben. Es war einfach nur ein Code, der eine App programmiert hat, die ich habe mein Leben bestimmen lassen. Und das ist eigentlich das Traurigste daran.
Als wir dann vom Frühstückstisch aufgestanden sind, haben wir das Thema fallengelassen. Aber wir haben uns davor geschworen, dass wir ab jetzt mehr Leben und weniger Teilen, was wir erleben. Diese Art von Erkenntnis hat mich echt ein bisschen umgehaut und beschäftigt mich immer wieder untertags. Ich habe auch schon mit dem Elias darüber gesprochen, habe ein bisschen geweint, um ehrlich zu sein. Meine Selbsteinschätzung war eigentlich immer, dass ich ein emotionaler Mensch bin, dass meine Gefühle stark sind und tief gehen, nachhaltig zusagen. Das Erdbeben der falschen Sicht hat mich dann doch erschüttert…
Pipifeine Grüße,
Sophie